Glühwürmchen leuchten nicht nur nachts

Wieder einmal gehe ich mit meinem Hund spazieren. Ein Hündeler kommt mir mit etwa zehn freilaufenden Hunden entgegen. Die muntere Schar begrüsst meinen Chicco. „Eh, bist du nicht der Nöggi von Dingsda?“, frage ich den Hundhalter. Dieser stutzt und grinst: „He Tschau Chicca, was verschlägt dich in diese Gegend?“

Das Wiedersehen entpuppt sich als gegenseitiger Glückstreffer. Eifrig erzählen wir einander, was wir so machen, wo wir wohnen usw. Unter anderem erzählt mir der Nöggi, dass er ein Kleingewerbe betreibe, mit Hauswartungen, Reinigungsarbeiten und anderes mehr. Ausserdem hüte er zusätzlich Hunde. Dieses Geschäft sei zwar finanziell nicht so interessant – aber es ermögliche ihm zu etlichen Geschäftsbeziehungen, die seine Hauswartsangebote beanspruchen und gut dafür zahlen. Wenn er genügend „Knete“ beisammen habe, verreise er jeweils ins Ausland, meistens so für ein bis zwei Jahre. Es stellt sich heraus, dass Nöggi, ganz in der Nähe von mir wohnt. Blitzartig überlege ich: „Hi, so gut – in diesem Fall kann ich den Nöggi doch auch einmal bei uns beschäftigen, oder mindestens unseren Chicco mal anvertrauen!“ Am Abend erzähle ich meinem Mann von meiner Begegnung. Mein Mann freut sich über das Gehörte und er schlägt vor, ich solle ihn doch mal zu uns nach Hause einladen…

Als Nöggi uns tatsächlich besucht stellt es sich heraus, dass er und mein Mann sich bereits vom Sehen her kennen. Denn beide haben die gleiche Leidenschaft: Pferderennen! Die Zwei vereinbaren miteinander, dass sie zukünftig gemeinsam an die Rennveranstaltungen fahren werden. Während diesen Fahrten erzählt der Nöggi uns, wie gut sein Geschäft laufe. Er erzählt uns auch von seinen Auslandreisen. Wie gut er mit dem in der Schweiz verdienten Geld zwei bis drei Jahre im Ausland leben könne. Kurz: Wir finden, Nöggi sei ein super Typ, immer zwäg und aufgestellt. „Einen so zufriedenen und ausgeglichenen Kerli findet man selten.“, denken wir – und auch unsere Kollegen, die den Nöggi durch uns kennen gelernt haben. Wiederum ist es Sonntag. Wir haben mit Nöggi abgemacht, dass wir gemeinsam nach Dielsdorf fahren. Kurzfristig sagt er uns ab, er müsse dringend nach Frankreich, einem Kollegen helfen, der erkrankt sei. Wir seufzen: „Nöggi ist so gutmütig! Er hilft überall! Wenn der nur nicht übers Ohr gehauen wird!“

Der Zufall will es, dass ich am nächsten Tag, auf meinem Weg zum Arbeitsplatz, einen anderen Schulkollegen treffe. Diesem erzähle ich von Nöggi, dass der sehr clever sei usw. Mein Gegenüber bricht in ein schallendes Gelächter aus. Er duckt sich etwas und schaut sich vorsichtig um: „Meinst du wirklich den Nöggi von Dingsda?“ „Ja natürlich, wer denn sonst!“, antworte ich munter. „He du bist gut! So ein treuherziges Seelchen wie dich findet man nicht alle Tage!“ gluckst mein Zuggefährte und fügt an:

„Du weißt doch, der Nöggi wollte Theologie studieren. Aus irgendeinem Grund schmiss er im zweiten Semester sein Religionsstudium und wechselte in die Rechtswissenschaften. Er kam sehr schnell und gut voran. Die Juristerei lag ihm. Er wollte bereits vor seinem offiziellen Abschluss das Gelernte in Münzen umsetzen. Er mischte sich in die dubiose Szene von Kleinverbrechern. Eine clevere und hübsche Meid lockte ihn in eine Falle… und schon hockte er selber in Untersuchungshaft. Er konnte die ihm auferlegte Busse nicht bezahlen und so landete er im Knast. Sein Jurastudium war futsch! Dafür lernte er in der Kiste ein paar ausgekochte Kollegen kennen. Sie zeigten ihm, wie man Code und Schlösser knackt. Du weißt ja, Nöggi erfasst alles ruckzuck. Er konnte mit den neuen Erkenntnissen aus dem Gefängnis fliehen und sich im nahen Frankreich niederlassen. Während seinen zwei munteren Jahre in Frankreich hatte er so manche Erleuchtung wie man zu Geld kommen kann. Irgend einer hat ihn verpfiffen und schon hockte er wieder, diesmal in Frankreich. Doch nicht sehr lange. Erneut konnte er, mit ein paar anderen Leuchten, in die Freiheit entfliehen und in der Schweiz untertauchen…“

„Aber sag mal!“, unterbrechen ich seinen Bericht! „Ich kann das fast nicht glauben! Es ist doch unmöglich in der Schweiz offiziell als Abwart zu arbeiten, wenn man eigentlich im Gefängnis sitzen sollte!“ „Ja, da hast du Recht!“ meint mein Informant. „Der Nöggi sieht so harmlos aus! Niemand kommt auf die Idee, dass seine Ausweise und Zeugnisse gefälscht sind… Ausserdem hat er ein sehr anständiges loyales Auftreten. Es ist halt leider so, der Nöggi hat eine leuchtende Birne, ist blitzgescheit, nur sein Verstand setzt halt manchmal aus!“ Der Zug hält mit einem Ruck. Wir verabschieden uns und ich sinniere:

Sagt nicht ein Sprichwort: „Die Ameise hält das Glühwürmchen für ein großes Licht?”, oder noch besser: „Ein schlechter Theologiestudent gibt allemal einen guten Juristen ab?” Dem ersteren kann ich zustimmen…, dem zweiten leider nicht so ganz…!

3 Gedanken zu „Glühwürmchen leuchten nicht nur nachts

  1. Was für eine Geschichte! Und doch trifft man da und dort in Zeitungen auf Berichte, die auf ähnliche Hintergründe schliessen lassen!

    Danke für die Geschichte!

    Gruss benz

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