Chicco auf Reisen

Es war wieder einmal ein wunderbarer heisser Tag. Ich lag im Schatten und döste. Rief da nicht mein Frauchen? “Chiiicccooo chumm!¨ Ich grunzte etwas und setzte mich in Bewegung. “Da bist du ja, he, Chicco komm, wir fahren weg!” Mein Frauchen holte vom Estrich die grosse rote Reisetasche. Diese wunderbar füllige Tasche mit Rädern und ordentlichen Handgriffen versprechen immer mehrtägige Ausflüge oder glückliche Ferientage. Kaum war das rote Ungetüm bepackt und verschlossen, befinden wir uns schon auf dem Weg zum Bahnhof. Die Räder vom roten Packmobil knirschten und bereiteten mir wie immer ein wenig Angst. Frauchen hielt mich straff an der Leine und mahnte mich: „Mach dein „Geschäft“ heute bitte etwas schneller als sonst!“ Entsprechend nervös trippelte ich neben meiner Chefin zur Bahnstation und erledigte meine Markierungen dienstbeflissen im Eilverfahren. Endlich sassen wir im Zug. Ich legte mich unter den Sitz und schlief sofort ein. Denn ich wusste, wenn die rote praktische Tasche mit geführt wurde, dauerte die Bahnreise etwas länger als üblich.

Ruckartig hielt der Zug an unserem Reiseziel an. Hellwach und mit einem Satz setzte ich mich in Bewegung. Mit grosser Freude stellte ich fest, dass wir in der Westschweiz angekommen sind. Unser Ferienhäuschen am Murtensee erreichten wir über die Feldwege in Windeseile. Zuerst war ich am Ziel; ohne Leine und Gepäckgepolter ein Kinderspiel. Zum Glück hatte es vor dem Haus ein Brunnen. Auf Galopp, schon landete ich im tiefen und kühlen Brunnenwasser. Genüsslich eine Runde schwimmen, Wasser trinken und wieder rausspringen; sich schütteln und entspannt vor die Haustüre legen, gehörte auch zu meinem Begrüssungsritual.

Ein tiefes Schnaufen und Keuchen. Endlich kam auch mein Frauchen strahlend und Schweiss gebadet in unserem Heim an. Ihre Reisetasche flog über die Treppenstufen und blieb rücklings liegen. „Huch das wäre geschafft!“ Frauchen atmete schnell und laut. Jäh horchte sie auf und rief: „Oh, da weint jemand!“ Frauchen und ich guckten einander verdutzt an… Tatsächlich! – „Das ist Timi!“ gluckste meine Chefin. Sie liess bestürzt alles liegen und stürmte zum Nachbarhaus. Blitzschnell stellte auch ich mich wieder auf meine vier Pfoten und fegte meinem verwirrten Frauchen hinterher. „Mein Hase stirbt! Hopsi ist verletzt! Er blutet! Er stirbt!“ Timi schrie und weinte. Er war ganz aus dem Häuschen und hielt einen verängstigten weissen Wollknäuel auf dem Arm. Tatsächlich Hopsi, das Häschen war überall rot. „Was ist los! Zeig Timi! Was ist mit Hopsi?“ Frauchen nahm Timi vorsichtig das zitternde Häschen aus dem Arm. Überall Blut. „Komm, gehen wir mit Hopsi zu uns rüber!“ Zu Dritt hasteten wir in unser Haus zurück und hüllten hier das verängstigte Häschen in ein Badetuch. Die blutende Wunde wurde vorsichtig abgetupft. „Das blutet zu stark! Wir müssen mit Hopsi zum Tierarzt!“ rief Frauchen. Timi weinte wieder erbärmlich und schrie: „Nein, der bereitet Hopsi nur noch mehr Schmerzen!“ „Ach was.“ beruhigte ihn mein Frauchen…. Sekunden später befanden wir uns aufgeregt auf dem Feldweg Richtung Tierarzthof. Frauchen trug Hopsi in ihren starken Armen. Hopsi’s Lampi-Ohren und die rosige Stupsnase guckten verloren aus dem Badetuch hervor. Timi trottete neben uns her und weinte still vor sich hin. Seine pfausigen Lausbuben Backen waren verschmiert. Seine Hände fühlten sich klebrig und elend an. Der Tierarzt wohnte mitten im stark besonnten Rebberghügel. Unser Ziel konnten wir deshalb nur über eine steile Bergstrasse erreichen. Huch, die heissen Pflastersteine verbrannten fast meine samtigen Pfoten. Die bleierne Hitze vertrieb mir sogar die Lust zum Markieren. „Wenn wir doch nur endlich da wären!“ stöhnte mein Hundeherz. Ich kannte den Tierarzt und seine Hofanlage bestens. Denn da wohnten einige meiner besten Freunde. Dank dem verletzten Hopsi durfte ich diese bereits am ersten Ferientag besuchen.

Das dämliche Blöcken der muffigen Schafdame Mägi schallte uns schon von weitem entgegen. Ich mochte Mägi überhaupt nicht leiden … Dieses stinkende Schaf mied ich, wie die laute Schiessanlage in unserem Dorf. Die Hühner Trixi, Gaxi und Glucksi gackerten zur Begrüssung um die Wette. Das gefiel mir besser, denn dieses Trio garantierte mir bei jedem Besuch ein spannendes Erlebnis. Einen Hofhund hatte es hier nicht. Zur Bewachung der Anlage genügten dem Tierarzt die beiden Gänse Schnatteri und Datteri. Das sind zwei überaus charmante, doch etwas eingebildete und ebenso nervöse Gänsedamen. Sie spurteten mit mir meistens gerne um die Wette auf dem blitzblank sauberen Hofplatz umher. Das gut eingespielte Gänseteam kam uns wie immer, aufgeregt und laut schnatternd entgegen geeilt. Dank dem Schnattern der Gänse, dem Gackern der Hühner und dem lauten Weinen von Timi, sowie dem nervösen Rufen von meinem Frauchen, tritt der Tierarzt forsch und verwundert aus dem Haus. Schnell nimmt er meinem Frauchen das traurige Hasenbündel ab. Er trug es, in Begleitung vom verzweifelten Timi und meinem Frauchen, in seine Praxis. Mich hatten die ganz vergessen …

Blitzschnell huschte ich deshalb zu meinen besten Kumpanen dieses Hofes, natürlich wie immer in Begleitung von Schnatteri und Datteri. Unsere besten Freunde Samba und Rambo erwarteten uns schon. Die zwei Schweinchen begrüssten uns schnorch – scharchend intensiv und heftig. Ach wie fein rochen diese beiden Säuli. Viel rosiger und angenehmer als das doofe Schaf Mägi. Heute liess mich Rambo nicht all zu lange sein lauwarmes Wasser trinken. Er schubste mich energisch und stiess mich vorwärts Richtung Hühnerstall. Ich zwickte Samba rasch ins Bein. Das hiess „Komm auch mit!“ So zogen wir drei wieder hügelwärts, gemeinsam mit den schnatternden Gänsen. Schnatteri und Datteri watschelten voraus; ich freudig wedelnd, mit dem trägeren Rambo und der lustigen Samba im Schlepptau, hintennach.
Die Hühner Gixi, Gaxi und Gluxi zeigten sich sehr beschäftigt und beachteten uns nicht. Die drei Damen hatten (wie immer) die verantwortungsvolle Aufgabe unzählige Eier zu legen. Diesen Monat durften sie ein paar Eier ausbrüten. Die jungen Küken waren vor ein paar Tagen geschlüpft und tanzten, trippelten und trappelten auf dem sandigen Boden umher.

Oh, laufende Tennisbälle hatte ich noch nie gesehen! Die mussten besonders eifrig beschnuppert werden. Ein kleiner Stups. Ein Küken fiel fast auf seinen Schnabel. Die Hühnermütter beachteten uns nicht. Sie überliessen uns ihre Jungmannschaft zum Rumalbern. Schnell hatte ich den Trick raus, wie man so kleine Bibeli im Laufschritt, eines hinter dem anderen, auf ein Ziel zutreiben konnte. Rambo und Samba verköstigten sich inzwischen mit feinem Hühnerfutter, pudelten Löcher in den Boden und störten die grossen Hühner mit schnorchendem Stupsen und Stossen. Die Gänse verzogen sich wieder auf den Hofplatz, und ich trieb derweil die Minihühnerschar unbemerkt zum Hofzaun. Das grösste und vorwitzigste Hühnchen entdeckte eine lochartigeVertiefung unter Zaun. Es schlüpfte durch. Dumm guckte ich ihm nach. Das nächste schlüpfte eben so rasch in die Freiheit. Ein weiteres … huch, und auch das nächste usw.. Die ganze Bibelischar kroch hurtig durch das Sandloch in die grosse Welt. Schnell paddelte ich noch mehr Sand unter dem Zaun weg. Mit Ach und Krach robbte ich mich, durch die vergrösserte Öffnung, unter dem Zaun durch. Gott sei dank geschafft! Die Hühnchen hatten sich ausserhalb des Geheges zu einem Reigen versammelt und piepsten wunderschön und aus voller Kehle. Mit meiner Hundenase stiess ich eines der Hühnchen an. Dieses verstand die Sprache, raffte sich auf und trippelte nervös auf den steil abfallenden Hofweg zu. Seine Geschwister tapsten hinterher und ich schloss mich der gelben fröhlichen Bibelitruppe an. Die Küken liefen vor mir, eins hinter dem anderen, wackelnd talwärts … Das war mir recht. Auf diese Weise konnte ich meine junge gelbe Gruppe bestens in Schach halten. Kein besserer Hirtenhund hätte seine Meute besser treiben können… Mir bereitete dieser Marsch in die Freiheit sehr grossen Spass und ich begann vor lauter Freude zu bellen. Das war mein Fehler. Mein Bellen alarmierte die Gänse, sowie die beiden Schweinchen, die Hühner, den Tierarzt, Timi und mein Frauchen.

Meine Chefin entdeckte mich und meine tolle und flinke Begleitung zuerst. Laut fluchend und lamentierend versuchte sie mich und die Bibelischar einzuholen. Dieses nervöse Getue bereitete meinen Bibeli grosse Angst und sie stackelten noch flotter die steile Rebstrasse hinunter. Demzufolge musste ich ihnen sprunghaft nacheilen.

Der Tierarzt schaltete notgedrungen seinen Denkapparat ein. Er schrie nicht, wie die anderen, unorganisiert herum. Besonnen stieg er in sein Auto und fuhr so rasch als möglich über die weniger steile Umfahrungsstrasse zu Tale. Unten gelangte er mühelos zur Einfahrt vom Hofweg. Er stellte sein Auto quer in den schmalen Einfahrtsweg. Dies klappte gerade noch rechtzeitig. Zu Fuss erreichte er die Bibelischar. Diese wollten soeben den steinernen Hofweg verlassen und in den seichten Rebbach hüpfen. Der kluge Tierarzt sammelte die Kleinen eins nach dem anderen ein, steckte sie sorgfältig in seine Jackentasche und deponierte sie anschliessend wohlbehalten in seinem Auto. In der Zwischenzeit ist auch mein Frauchen keuchend bei uns unten angekommen. Es packte mich am Genick und schüttelte mich kurz und tüchtig durch. Was es gesagt hatte weiss ich nicht mehr. Möchte die Worte auch nicht wiederholen. Auf jeden Fall trottete ich brav neben meinem fauchenden Frauchen wieder hinauf zum Tierarzthof.

Timi stand derweil sprachlos vor der Praxis empfing uns mit den besorgten Sätzen:
„Ich komme nicht draus! Was ist denn passiert?“. Das war meine Rettung. Schnell entwischte ich meinem Frauchen und sprang aufgeregt wedelnd zu Timi. Er nahm mich in seine heissen Arme und drückte mir sein klebriges und verweintes Gesicht ins Fell. Er flüsterte dabei ganz glücklich: „ Hör mal Chicco, mein Häschen ist gerettet. Der Tierarzt hat ihm die Wunde zugenäht.“ Weiter spricht er auf mich ein: „Aber was machst du für dumme Sachen! Du sollst doch dich und all die anderen Tiere nicht unnötig gefährden oder sonst was Blödes mit Ihnen anstellen. Ihr könntet dabei verunglücken oder umkommen!“ und weiter jammerte Timi: „Ach, so eine Flickerei beim Tierarzt würde ich nicht noch einmal
durchstehen!“ Ich drückte mein stark klopfendes Hundeherz an Timi und versprach ihm still brummelnd, in Zukunft vernünftiger zu handeln.

In der Zwischenzeit hatten sich Frauchen und der Tierarzt von ihrem Schreck erholt. Versöhnlich streichelten sie mich und Timi und reichten mir endlich feines Futter und frisches Wasser. Die Bibeli wurden unversehrt den dusseligen und stolzen Hühnermüttern Gixi, Gaxi und Gluxi übergeben.

Ob die Tierarztfamilie die Vertiefung unter dem Zaun ausgebessert hat, weiss ich nicht.
Wir werden sehen!

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