Wenn man umzieht lernt man …

zwangsläufig die Sitten und Bräuche der neuen Nachbarschaft kennen.


Das erste Kennenlernen überlassen mein Mann und ich gerne dem Zufall – so auch dieses Mal! Kaum sind wir in unserem neuen Domizil eingezogen und einigermassen eingerichtet, zieht es mich in den Garten. Da ruft mir jemand über die Hecke: “Hallo! Da wartet aber viel Arbeit auf Sie. Wissen Sie, ihr Vorgänger hat nie etwas gemacht. Das war einer von der bequemeren Sorte …!” Ich richte mich auf und antworte: ”Nett Sie kennen zu lernen. Ich bin Frau mutti.” - ”Freut mich, ich heisse Heidi Zürcher …!  Das heisst ich bin ganz einfach s’Heidi, und da kommt gerade mein Hans! Schau Schatz, unsere Neue ist schon bei der Gartenarbeit!” – “Grüzi Herr Zürcher! Freut mich! Mein Name ist Frau mutti!” - ”Äh, wir sagen uns hier alle “du”! Ich bin der Hans!”, etwas perplex stottere ich: “Ja, dann …?” Denn es ist gar nicht meine Art  sofort mit jemandem per Du zu sein. Unbeirrt über mein Zögern erklären mir Hans und Heidi: ”Weisst du, wir sind so froh, dass ihr jetzt hier seid. Das Haus schaut jetzt schon viel freundlicher aus, als bei eurem Vorgänger, gäll Hans! Ganz schrecklich dunkel und grusig war der Anstrich vom Chalet! Der Garten war die reinste Wildnis, gäll Hans! Auf jeden Fall habt ihr die Büsche perfekt umplatziert! Dementsprechend würde ich dort hinten noch ein Pavallion stellen, hier vorne ein Bistrotisch mit zwei Stühlen, ergänzt mit Kerzen oder Fackeln und so. Übrigens eure kleinen Sonnenschirme werden sich auf die Länge nicht bewähren, gäll Hans?!” Der erklärt mir postwendend: ”Wie’s Heidi schon sagt … Es gibt da solche, die man mit einer Kurbel aufziehen kann! Siehst du, wie  diese da … “, – “Am besten in beige oder weiss!”, ergänzt Heidi und fährt fort: ”Farbige Schirme wirken völlig unruhig,  besonders zu eurer gestreiften Sonnenstore, gäll Hans!?.” Etwas irritiert verabschiede ich mich von den beiden, zum einen wegen dem schnellen du und zum anderen ihrer Aufdringlichkeit betreffend unserer Gartengestaltung.


Doch kaum habe ich mich umgedreht ruft jemand von der Zufahrtsstrasse her: ”Hey, Sie sind sicher unsere neue Nachbarin! Ich bin der Werner!” – Lachend reagiere ich: “Und ich bin Frau mutti! Grüezi Herr Werner!” – Der aber erwidert: ”Nein, mein Name ist Guggermeister – Werner Guggermeister!” – Freundlich entgegne ich: ”So, das freut mich Herr Guggermeister! Ach, wie ich sehe kommt da noch Ihre Frau. Grüezi Frau Guggermeister! Ich bin Frau mutti, Ihre neue Nachbarin!” Diese begrüsst mich ebenfalls lachend: ”Freut mich! Aber Sie dürfen mir schon Leni sa..!” Da falle ich ihr ins Wort: “Frau Guggermeister, wie ich sehe haben Sie auch einen Hund – und was für einen herzigen! Jetzt kommt mir in den Sinn, ich muss ja mit unserem Chicco noch einen Lauf machen!”, dabei verabschiede ich mich von den Guggermeisters, innerlich ganz stolz, dass ich einem weiteren (unfreiwilligen) “Duzen” noch einmal entkommen bin.


Als ich mit Chicco vom Spaziergang zurück komme, ruft mich mein Mann zu sich hinter unser Haus: “Komm mutti, darf ich dir Herrn Rebsam vorstellen? Herr Rebsam, das ist meine Frau!” - ”Freut mich Frau mutti! Schön, das Sie hier eingezogen sind! Du Trudi komm doch mal rasch, da sind Herr und Frau mutti – unsere neuen Nachbarn!” Wir begrüssen uns gegenseitig – und schon – erklärt sich Frau Rebsam: “Schön das Sie da sind. Sie müssen wissen, wir haben es sehr gut hier im Quartier. Wir helfen uns gegenseitig und schauen hie und da einander zum Garten. Darf ich Ihnen bei dieser Gelegenheit einen guten Tipp geben! Wir haben festgestellt, dass Sie Ihren Rasenmäher viel zu tief eingestellt haben. Ein zu kurz geschnittener Rasen vermoost und geht mit der Zeit total kaputt, besonders in einem heissen Sommer!”


Erleichtert  darüber einem  weiteren “Duzis – Angeobot” entkommen zu sein,  habe ich mich schon fast übermütig für den überflüssigen Hinweis von Rebsamens bedankt. Auch mein Mann meinte später: “Du, da sind wir noch einmal davon gekommen!” – Denn wir beide sind der Meinung:

  • Ein “Sie” verschafft uns persönlich, besonders beim ersten Kennenlernen von neuen Nachbarn oder neuen Arbeitskollegen, eine gesunde Distanz zu unserem Gegenüber. Mit dem “Sie” mindern wir  aber nicht unsere Wertschätzung dem anderen gegenüber. Erst ein gegenseitiges Abtasten und  eine normal verträgliche Zurückhaltung erleichtert uns (und natürlich auch der anderen Person) die Entscheidung beim “Sie” zu bleiben oder sich zum gegebenen Zeitpunkt das “Du” anzubieten.

Es ist mehr wert,


jederzeit die Achtung der Menschen zu haben,


als gelegentlich ihre Bewunderung.


Jean Jacques Rousseau

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